Über 30 Jahre an der Bande – Kultfan Martin Badura im Interview

So richtig erinnern kann er sich nicht mehr wann es genau losging mit seiner Fankarriere, es ist ja auch schon einige Zeit her.
„Um die 1982/83“ muss es gewesen sein als er zum ersten Mal zu einem Heimspiel des EHC Stuttgart auf die Waldau kam und sich zunächst wunderte warum 10 erwachsene Männer einer kleinen Gummi-Scheibe hinterher stürzen und dann noch 2 Hüter, die sich die Scheibe um die Ohren schießen lassen.
Als selbst sporttreibender, begeisterter Fussballspieler aber imponierte ihm der Körpereinsatz und der bedingungslose Kampf gepaart mit Leidenschaft, die es nur im Eishockey in dieser Intensität gibt. Nach ein, zwei weiteren Spielen war es aber um ihn geschehen. Diagnose: infiziert, begeistert und fasziniert von einem Sport, den er so noch nicht erlebt hat.
Die Eishockeyregeln waren bald verinnerlicht und mit Gleichgesinnten ging es dann jedes Wochenende Richtung Eishalle. Kurze Zeit später kamen dann auch noch Auswärtsspiele ins Wochenend-Programm.

So begann die „Eishockeykarriere“ des Martin Badura (55) aus dem Stuttgarter Stadtteil Fasanenhof. Anlass genug für ein ausführliches Gespräch über das Stuttgarter Eishockey mit einem Supporter, dem man die Leidenschaft auch heute noch deutlich anmerkt. Wenn z.B. ein Schiedsrichter eine Szene  anders interpretiert als man selbst gesehen hat, so kann es schon passieren das die Plexiglas-Scheibe an seinem angestammten Platz schräg gegenüber dem Bierstand, lautstark einer Materialprüfung unterzogen wird.
Läuft ihm etwas gegen den Strich, dann ist er auch keiner, der das mit sich allein ausmacht. Im Gegenteil es werden Briefe an die Vereinsführung, an die Zeitung und an die Eishockeynews verschickt, um das Geschehen öffentlich zu machen.
Kurzum, ein Anhänger des Stuttgarter Eishockeys der alten Schule.

Martin mit Jambo

Jambo Schäffler mit Martin

Wir trafen uns am Samstag 7.11.2015 als er mir wieder einen Ordner voller alter Drucksachen überreichte und dabei ist die Idee entstanden, die Treffen auch einmal festzuhalten, denn die Gespräche kreisen immer nur um das eine Thema:  Eishockey auf der Waldau.
Dabei wird nicht nur über das Eishockey von gestern und vorgestern debattiert, sondern natürlich auch aktuelle Themen aufgegriffen.

Hallo Martin, vielen Dank für einen weiteren Ordner voller alter Dokumente, Zeitungsausschnitte, Bilder, Stadionzeitschriften, die ich einscannen und der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen kann. Es ist der Wahnsinn und ein wahrer Glücksfall das du im Laufe der Jahre eine richtige Sammelwut entwickelt hast. Bis heute sind es 22 Ordner. Ein unfassbares Stuttgarter Eishockey-Konvolut, das sicherlich seinesgleichen sucht.
Wie hat das alles angefangen ?
Nun, am Anfang nimmt man z.B. Stadionzeitschriften mit und nach und nach kommen Zeitungsschnipsel dazu, so dass man sich entscheiden muss: entweder alles wieder entsorgen, oder eben sauber geordnet abheften. Wobei dies früher dann soweit ging das ich auch von vielen auswärtigen Stuttgarter Fans mit Artikeln versorgt wurde, die nicht in Stuttgart wohnten und in den jeweiligen Medien Ausschau hielten.
Hinzu kam natürlich noch das früher viel mehr in den Zeitungen über das Stuttgarter Eishockey zu lesen war.

Seit den Achziger Jahren also in der Eishalle und seitdem an der Bande. Respekt !
Ich habe seitdem glaube ich  nur 3 oder 4 Spiele verpasst, ansonsten habe ich immer versucht dabei zu sein. Meine Krankheiten habe ich zum Glück immer im Sommer gehabt. Nur einmal war es knapp, da war ich im Krankenhaus, habe mich aber kurzerhand auf die Waldau hochfahren lassen und einmal bin ich glaube mit Krücken auf meinen Sitzplatz gehumpelt. Ich habe immer eine Dauerkarte gehabt, übrigens heute noch.

An welches Spiel erinnerst du dich heute noch gerne ?
Ganz klar, das Spiel des EHC Stuttgart Saison 82/83 gegen den damaligen 35fachen russischen Meister ZSKA Moskau (Anm. 3:17 verloren). So voll habe ich die alte Eishalle bis dato noch nicht gesehen (Anm. 2500). Als Jens Martens kurz vor dem ersten Drittelende den 1:2 Anschlußtreffer erzielte, hob sich die Hallendecke und hätte man da die Türen aufgemacht wären die Leute 10m weit rausgepurzelt.
Und dann gab es damals später natürlich noch klasse Spiele des EV Stuttgart oder EC Stuttgart insbesondere gegen bayrische Vertreter. Alle Top-Spiele kann ich dir garnicht mehr aufzählen. Es gab damals eine Menge Highlights. Der Stellenwert des Eishockeysports in Stuttgart war damals aber auch ein ganz anderer als heute.

Du hast viele Spieler und Trainer kommen und gehen sehen. An welche Persönlichkeit  erinnerst du dich heute noch gern ?
Oh, da gibt es sehr viele, die das Stuttgarter Eishockey nach vorne gebracht haben. Aber ja, es gibt einen den werde ich im Leben nicht vergessen: Venzi Niesner. Eigentlich hätte man schon längst die Eishalle nach ihm benennen müssen in „Venzi-Niesner-Eishalle“. Was der in Stuttgart über seine lange Zeit, die er aktiv war, erreicht hat, und das nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer. Auch im Nachwuchs hinterlies er große Spuren. Er konnte sehr gut mit Menschen umgehen, hatte zu jedem einen guten Draht, auch zu uns Fans, das werde ich nie vergessen. Ich bin ein Venzi-Fan !

Ja, dann sind wir schon zwei. Du hast Recht, wir hätten sein Trikot mit der Nr.22 schon lange unters Hallendach hängen sollen. Er mischt übrigens auch bei den Waldau-Old-Boyz mit. Er wurde die letzte Woche am Knie operiert. Ist alles soweit gut verlaufen…
Ah, ok. Sag ihm einen schönen Gruß von mir. Ja, ich war beim Training ja dabei und habe ihn auch auf dem Eis gesehen. Übrigens eine sehr gute Sache mit dem neuen Verein mit den alten Jungs. Was sich da auf dem Eis tummmelt ist Erfahrung pur, Zweitliga-Oberliga-Kompetenz. Schön anzusehen…

Wir sind aber kein Fanclub, der in Erinnerungen schwelgt. Wir wollen uns als Verein und als Mannschaft aktiv auf der Waldau einbringen und den Mitgliedern der Eishockeyfamilie ihre Geschichte zurückgeben, sofern man uns lässt.
Womit wir wieder in der Gegenwart angekommen sind.
Wie hat dir das letzte Heimspiel gegen Bietigheim gefallen  (Anm. 10:1 verloren)?
Oje, das war ein Spiel wie es nur auf der Waldau passieren kann. Aber kein Vorwurf in Richtung Mannschaft, die haben selbst noch gekämpft als es keinen Sinn mehr gemacht, weil das Spiel bereits entschieden war. Aber ausgerechnet gegen Bietigheim …
Ich breche aber nicht den Stab über unser Team, denn es ist eine neue Mannschaft mit vielen Neuzugängen und mit Trainerneuling Philipp Hodul vor seiner Bewährungsprobe. Da muss man Geduld haben.

MartinDas klingt sehr realistisch…
Man muss die Gesamtsituation sehen. Die Mannschaft hat Potential, muss sich aber noch finden und in Ansätzen sieht es da meiner Meinung nach nicht schlecht aus. Vorallem werden junge Spieler an die Liga herangeführt, viele Landesligaspieler die gekommen sind müssen sich zunächst akklimatisieren, dann gibt es halt auch solche Ergebnisse.
Ich habe in der Vergangenheit viele super Heimspiele gesehen, von daher akzeptiere ich auch Niederlagen. So ist halt der Sport. Wenn ich aber sehe das ein Team zusammen spielt, sich gegenseitig hilft, kämpft und alles gibt, solange habe ich mit Niederlagen kein Problem.
Ich denke trotzallem das ein PlayOff-Platz möglich ist.

Wow, tolle Einstellung.
Apropos Ziel…stellen wir kurz den „Träum“-Modus auf „ON“
Die Rebels werden Meister und hätten Startrecht in einer Oberliga-Süd.
Dann würde man darauf verzichten, wie zuvor schon 3x die Eisbären Heilbronn und zweimal wir.
Es wäre zwar mehr als wünschenswert in eine andere Liga zu kommen, denn ehrlich gesagt ist es nicht sehr prickelnd zum x-ten Mal gegen Eppelheim oder Schwenningen anzutreten. Ich sage auch bewusst eine „andere Liga“, denn es muss nicht Oberliga sein. Es wäre einfach schön  gegen andere Teams zu spielen, insbesondere die bayrischen Mannschaften waren da schon immer das Salz in der Suppe.
Der BW-Verband scheint diesbezüglich aber wenig kreativ zu sein.

Also verfassen wir ein Schreiben an den bayrischen Verband und bitten um Aufnahme…
Und folgen damit dem Ravensburger Beispiel vor Jahren. Ja, das wäre ein Durchbruch. Das waren schon immer klasse emotionale Partien. Super wäre es z.B. in der bayrischen Landesliga Südwest anzutreten gegen Wörishofen, Pfronten, Ulm, Burgau usw.
Es muss also nicht eine Oberliga oder Bayernliga sein. Vom sportlichen Niveau müsste die Landesliga Bayern passen und auch die Reisekosten wären zu finanzieren.

Ein Eishockeyclub ohne eigene Vereinsgaststätte – das ist in Deutschland, vielleicht sogar auf der ganzen Welt einmaligMartin Badura

Bevor wir beide jetzt völlig ausrasten schalte ich besser den „Träum“-Modus auf „OFF“.
Spaß beiseite, aber das wäre die einzigste Möglichkeit die Attraktivität des Eishockeysports  in Stuttgart zu erhöhen ohne gleich in ein finanzielles Abenteuer zu gehen.
Weil realistisch betrachtet kommt man sonst nicht aus dieser seit Jahren stagnierenden BW-Liga nicht raus. Wie oft wollen die Eisbären Heilbronn eigentlich noch Meister werden ?

Am besten wir übergeben den Meisterwimpel schon vor der Saison an der Ligentagung an Heilbronn. Diese Entwicklung kann niemanden zufrieden stellen…
Sportlich ist das ein Desaster, weil dadurch auch die Entwicklung insgesamt stagniert.
Der Nachwuchs, der hier in Stuttgart über Jahre mit viel Herzblut (und finanziellen Mitteln) ausgebildet worden ist und ambitioniert ist, wird zu höherklassigen Clubs wechseln, womit die Nachwuchsarbeit insgesamt zum Teil infrage gestellt ist.
Das Aushängeschild muss eine attraktive, erfolgreiche erste Mannschaft sein, dann kann auch der Nachwuchs profitieren und im Idealfall werden aus diesem Bereich dann Spieler rekrutiert.
Die Vergangenheit hat dies ja bereits gezeigt, das es so funktionieren kann.

Mir fehlt eine Zielvorgabe, zumindest ein Bemühen, einen Plan wie es vorwärts gehtMartin Badura

Wow, jetzt sind wir aber abgeschweift, aber das scheint uns immer wieder umzutreiben.
Eigentlich wollte ich über die alten Zeiten zu sprechen kommen, die im gewissen Sinne auch sehr lehrreich sein können im Bezug auf Gegenwart und Zukunft.
Dann müsste aktuell zuallererst darüber nachgedacht werden, wie man die Fans nach dem Spiel zusammenbringt. Denn nicht nur das ist total weggbrochen, sondern auch das lockere Gespräch mit Spielern und Offiziellen bei einem Bierchen. Früher gab es die Stadiongaststätte, und danach gab es immerhin die „Halbzeit“, das waren wichtige Anlaufpunkte. Heute fehlt das.
Das halte ich für einen ganz großen Fehler. Die Identifikation erreicht man aber nur über solche Kontakte. Ein Eishockeyclub ohne eigene Vereinsgaststätte – das ist in Deutschland, vielleicht sogar auf der ganzen Welt einmalig, vor allem wenn sich diese Stadt „Sportstadt“ nennt und sich Slogans wie „Stuttgart für den Sport“ usw. leistet.
Nun ja, es kann doch nicht so schwer sein einen Anlaufpunkt zu finden, wo man sich vor dem Spiel trifft und dann danach auch noch hingeht. Das bringt dort doch Umsatz und für die Rebels müsste doch auch was rausspringen, so wie früher in der Halbzeit. Irgendwas geht doch immer…

In der Eishalle kannst du sowas aber komplett vergessen. Da kommt der Reinigungsdienst und die Halle wird um 23 Uhr verschlossen. Aber klar , das sehe ich auch so.
Wenn wir schonmal dabei sind, welche Kritik gibt es noch ?
Mir fehlt eine Zielvorgabe, zumindest ein Bemühen, einen Plan wie es vorwärts geht. Ich kann viele Fans verstehen, die nicht mehr hochgehen, weil -egal wie es sportlich läuft- man  trotzdem wieder in der RLSW antritt. Das geht einem mit der Zeit gegen den Strich.
Aber eine Patentlösung habe ich auch nicht. Ich finde es toll das es immer wieder Leute gibt, wie z.B. der Klaus Knöpfle und andere, die sich engagieren, aber letztlich fehlt mir der Glaube das es eine grundlegende Besserung gibt. Ich werde trotzdem immer hochgehen, auch wenn wir eines Tages nur noch Landesliga spielen sollten. Ich werde da sein und natürlich eine Dauerkarte ordern.

Martin, vielen Dank für das ausführliche und interessante Gespräch.
Bis demnächst in der heiligen Halle des Eishockeysports auf der Waldau…