„Die Polska-Connection“ – Eine polnische Eishockey-Dynastie in Stuttgart!

Ein Rückblick von Bernd „Jambo“ Schäffler
(EC Stuttgart, Stuttgart Wizards, Waldau Old Boyz)
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Mitte der 80er Jahre bekam das Stuttgarter Bild1_4Eishockey einen neuen hauptamtlichen Nachwuchstrainer. Es war Viktor Pysz vom polnischen Erstligisten MMKS Podhale Nowy Targ.
Der 1932 gegründete Verein ist mit 19 gewonnenen Meisterschaften der erfolgreichste Club Polens und somit alleiniger Rekordhalter.
Viktor Pysz selbst war über Jahre Topscorer, mehrfacher polnischer Meister, Nationalspieler und verfügte außerdem über eine exzellente Lauf- u. Stocktechnik.  Es war ein mutiger Schritt von Viktor in den Westen zu gehen, Frau und Kinder in Polen erst mal zurück lassen zu müssen und die deutsche Sprache nicht zu verstehen. Andererseits öffnete er die Türen für seinen Bruder Marian Pysz und später für seinem Sohn Patrick Pysz.

Viktor Pysz (05.03.1949)

Viktor Pysz (05.03.1949)

Neben den anfänglichen sprachlichen Schwierigkeiten, war die Mentalität der engagierten Eishockey-Eltern sicherlich die größte Herausforderung für Viktor. Man bedenke, dass zu dieser Zeit noch eine schwer bewachte Mauer durch Deutschland verlief und Polen unter dem politischen Einfluss der Sowjetunion stand. Viktor ein Kind der alten Ostblock-Trainingsschule (Zucht & Disziplin), traf auf die wohlgenährte Spaßgesellschaft aus dem Westen. Wo Mama und Papa schon mal gerne mit Ihrer nicht vorhandenen Fachkompetenz, den Trainer davon überzeugen wollten, dass Ihr Kind doch mehr Spielzeit haben müsse. Den schließlich bezahlen Sie ja auch sein Gehalt mit. Viktor musste also erst mal lernen, was Kapitalismus und Charme-Offensive eigentlich wirklich bedeuten.

1985 mit Nachwuchs auf der HAFA Messe

Unter Viktor begann eine neue erfolgreiche Ära im Stuttgarter Eishockey Nachwuchs. Es wurde besser, härter und taktisch geschulter trainiert. Im Sommer wurde regelmäßig und vor allem viel im Kraftraum trainiert, zudem gab es 2-wöchige Trainingslager in Nowy Targ. Aus den anfänglichen Klatschen von bis zu  30:1 gegen die etablierten Clubs wie Mannheim, Schwenningen und Freiburg, folgten später viele knappe Spiele und sogar Siege.

Anfang der 90er Jahre erhielten wir in der Ferienzeit Unterstützung von seinem Sohn Patrick Pysz.
Was für eine Granate dieser Junge!
Er konnte Spiele im Alleingang entscheiden und verhalf uns durch seine spektakulären Tore die Meisterschaft zu holen und die Qualifikationsrunde zur deutschen Meisterschaft zu erreichen (heutige DNL). Spiele in ganz Deutschland gehörten zum Standardprogramm unter Viktor und Marian.
Stuttgarter Spieler waren wieder in der BW-Auswahl präsent und wurden zur Turnieren in Deutschland, Europa und Kanada eingeladen. Im Herzen war Viktor immer Vollblut-Profi geblieben und daher konnte er sich auf Dauer mit den auf der Waldau limitierten Möglichkeiten nicht mehr arrangieren. Zudem war sein Sohn Patrick während der Wintersaison in Deutschland und wurde auf Grund seines Ausnahmetalents von den finanzstarken Clubs gescoutet. Die Entscheidung fiel pro Mannheim und es ging für Viktor zum MERC (Die Adler), wo er Anfangs die Damenmannschaft betreute. Sein Sohn Patryck folgte Sven Zywitza nach Augsburg.
Sein Bruder Marian Pysz der mittlerweile auch schon ein paar Jahre in Stuttgart arbeitete, übernahm die alleinige Verantwortung für den Nachwuchs und führte Viktors Arbeit erfolgreich weiter. Gerüchten zufolge wäre Marian sogar der bessere Spieler gewesen, da dies aber in einer Zeit ohne Internet und unter dem Deckmantel des „Eisernen Vorhangs“ geschah, gestaltet sich die Recherche recht schwierig. Hierzu müssten wir mal ein paar Zeitzeugen ausfindig machen. Er war auf jeden Fall der ältere und der entspanntere Trainer, denn er hatte verstanden, dass 80% der Kids den Sport machten, weil sie ihn liebten und nicht weil sie die Hoffnung auf eine Olympia-Teilnahme hatten. Wir brauchten kein Ticket in den Westen, wir wurden glücklicherweise dort geboren!
Und dennoch war die Aussage: Machen Sie „20 Liegestütze – sofort“ die gängigste Methode von Marian um uns Disziplin einzuhauchen. Mitte der 90er riss der Kontakt zu Familie Pysz dann leider komplett ab. Patrick ging nach Canada um sich in der NHL zu versuchen und Viktor und Marian wurden Trainer von Polens Eishockey-Nationalmannschaft.

Patryck Pysz – Ein ehemaliger polnischer Eishockey-Nationalspieler der einige Jahre sehr erfolgreich im Stuttgarter Nachwuchs seine Schlittschuhe schnürte. Wir lernten Patrick als freundlichen, umgänglichen und disziplinierten Teamplayer kennen. An ihm konnte man live verfolgen, welchen Aufwand man ganzjährig betreiben muss, um irgendwann für die beste Liga der Welt (NHL) gedraftet zu werden.
Wenn Patryck in der Schulferien bei uns mitspielte, dann zitternden die gegnerischen Abwehrreihen schon vor dem Spiel. Sein unglaublich harter und präziser Schuss, seine Übersicht und Stocktechnik waren eine Augenweide für sich. Deswegen war leider frühzeitig klar, dass der Junge nicht ewig bleiben kann. Nach dem Aus vom 2.-Ligisten EV Stuttgart, waren hier keine Perspektiven mehr für Ihn vorhanden, weswegen er zum EV Augsburg wechselte und mit 31 Punkten mitverantwortlich für den DEL-Aufstieg der Augsburger Panther war. 1995 unterschrieb er einen Vertrag bei den Adler Mannheim, die er nach einem Jahr für ein Engagement in Nordamerika verließ. Nach einer Spielzeit bei den Columbus Chill in der Minor League East Cost Hockey League kehrte er nach Deutschland zurück, wo er zunächst drei Jahre lang für die Hamburg Crocodiles in der zweithöchsten deutschen Profispielklasse spielte. 2000 wechselte Patryck Pysz zum Ligakonkurrenten REV Bremerhaven wo er seine Karriere nach der Saison 2003/2004 frühzeitig beendete.Beim NHL Entry Draft 1993 wurde Patryck als 102. in der vierten Runde von den Chicago Blackhawks gezogen, allerdings kam er leider in der National Hockey League nie zum Einsatz. Geblieben ist ihm seine amerikanische Frau und eine tolle Karriere u.a. auch bei der polnischen Nationalmannschaft.Bild2_3
Bei unserem letzten Gespräch während den Play Offs der 2.Liga zwischen Bietigheim und Bremerhaven im Jahre 2003 deutete sich ein verfrühtes Karriereende auf Grund von mehrfachen und schweren Knieverletzungen leider an.
Wo immer Du auch nach Deiner Laufbahn gelandet bist Patryck, wir würden uns alle sehr freuen, wenn wir uns außerhalb oder auf dem Eis mal wieder treffen / hören würden. Denn wir waren stolz darauf, an deiner Seite spielen zu dürfen!
Marian_Viktor

Viktor Pysz bei der Arbeit mit den Kleinstschülern vom EC Stuttgart – 1984

Trainingslager in Nowy Targ zu Zeiten des „Kalten Krieges“ zwischen Ost und West. Das will und kann man sich heute mit Europas offenen Grenzen gar nicht mehr vorstellen, aber Eishockey ist ein internationaler Sport, in dem kein Platz für Rassismus und Fremdenhass vorhanden sein sollte. Und vor allem hat uns dieser Sport die Möglichkeit gegeben, schon in jungen Jahren hinter die Fassade von Politik und Medien zu schauen.
Was bedeutete eigentlich „Kalter Krieg“?
Ich kannte das Wort aus dem Geschichts-Unterricht, wusste aber nicht wirklich, warum uns Typen mit Maschinenpistolen an der CSSR / polnischen Grenze zig Stunden grundlos festhielten. So war das damals halt als Westbürger im Ostblock. Es ist wohl diesem im positiven Sinne wahnsinnigen Busunternehmer Notheis aus Reutlingen zu verdanken, dass wir immer unbeschadet und ohne nennenswerte Verluste den Transfer überstanden haben. Bild5_1Das Trainingslager selbst wurde durch mitgebrachte neuwertige Ausrüstungsteile für die 1. Mannschaft von Nowy Targ teilfinanziert. Westliche Waren konnte man nur in PEWEX-Läden kaufen, vorausgesetzt man hatte Dollar oder D-Mark dabei. Aus diesem Grund boten uns Einheimische vor den Banken / Wechselstuben den bis zu 6-fachen Wechselkurs im Vergleich zur Bank an. Es war sowieso gefühlt wie im Schlaraffenland, denn mit 50 D-Mark konnte man 2 Wochen Leben wie ein kleiner König. Bedenkt man, dass eine Pizza bei umgerechnet 5 Pfenning + Extras losging. Ich erinnere mich an Besuche in Discotheken, wo nach jeden Lied die Kassette gewechselt wurde und außer uns Touristen sich auch niemand darüber wunderte. Ganz im Gegenteil, es gab nur Raubkopien auf dem Markt und alles was aus dem Westen kam war ein Highlight und somit illegal. Nowy Targ bedeutete nicht nur 2-3 mal Training am Tag, sondern auch Ausflüge und Besichtigungen. Bild5_2Ob die Skisprungschanze von Zakopane, Flößerfahrt, Krakau Stadt, aber auch geschichtsträchtige Orte wie die Burg Wawel in Krakau (Sitz der polnischen Könige), den größten Glockenturm Polens und auch „Auschwitz“ gehörten dazu.
Auch konnten wir Kinder der „Generation Zentalheizung“ unserem Coach Viktor Pysz dabei helfen, eine Wagenladung Kohle in den Keller zu schaufeln. So war das eben damals in Polen.
Was ich auch nie vergessen werde, war dieser einmalige und stetige Ammoniak Geruch in der Eishalle und der regelmäßig damit verbundene Alarm zum räumen der Eishalle. Was immer auch jeder von uns an Erinnerungen mitgenommen hat, er sollte Sie aufschreiben und uns mitteilen, denn diese Zeit war einmalig und so voll von schnelllebigen Veränderungen!
Bild5_3Flößerfahrt auf einem Grenzfluss zwischen Polen und der CSSR (heutiges Tschechien). Auf diesem Foto sehen wir u.a. den langjährigen Stuttgarter Betreuer Siegfried „ Siggi“ Schäffler, sowie den Stuttgarter Szenewirt Pietro Lo Bue (Inh. DA CAPO), dessen Sohn Oliver Lo Bue ebenfalls lange in Stuttgart Eishockey gespielt hat. Ebenfalls auf dem Foto ist Thomas Treuter von der Metzgerei Treuter in Vaihingen(v.l.).