EHC Stuttgart vs. ZSKA Moskau 1983

zskaMoskau

ZSKA Moskau

Die Erwartungshaltung hätte nicht größer sein können damals, denn über 2.500 Zuschauer wollten auf der Waldau den besten Eishockey-Club der Welt sehen.
Zu Gast war der ZSKA Moskau, aufgebaut und trainiert von dem großen Anatoli Tarassow und später dann vom Meistermacher und Titelsammler Viktor Tichonov.
Für das Spiel in Stuttgart hatten Sie zwar für Ihre Verhältnisse nur eine B-Auswahl rekrutiert, die aber trotzdem noch mit 8 Nationalspielern aufwarten konnte. 11 Nationalspieler inkl. dem Wundersturm um Slawa Fetissow befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Canada um Wayne Gretzky und seiner Startruppe in 5 Spielen in Folge, 5 Niederlagen beizubringen.
Das Spiel selbst war sicherlich ein Highlight in der Karriere aller Stuttgarter Spieler, aber laut aktiven Zeitzeugen auch die größte Lehrstunde aller Zeiten. Hier traf ein Oberligist auf die (in-)offizielle Nationalmannschaft Russlands. Das hat es bis dato auf der Waldau nicht gegeben.
Die besten Spieler waren auf Grund der Ausbildung und Trainingsmethodik sowieso beim Armeesportclub ZSKA Moskau beheimatet. Wenn ein Spieler Viktor Tichonov gefiel, dann halfen seine guten Kontakte ins Politbüro, dass der Spieler zukünftig für ZSKA Moskau spielte. Zudem trainierten diese Jungs 11 Monate am Stück zusammen und das vor allem im Sommer mit bis zu 4 Einheiten pro Tag. Besuche zu Hause gab es nur monatlich (wenn überhaupt), denn dem Erfolg des sowjetischen Eishockeys musste absolut alles untergeordnet werden. Eishockey war in Russland zu dieser Zeit der populärste Sport überhaupt und wurde natürlich politisch von Ost und West genutzt.
Die Amerikaner hatten Ihr Wunder von Lake Placid und die Sowjetunion die Erfolge vom Canada Cup, den zig Weltmeisterschaften und natürlich Olympiasiegen. Sie hatten Canada und den Rest der Welt mit Ihrer neuen und technisch sehr anspruchsvollen Art schlichtweg überholt, wenn nicht sogar an die Wand gespielt. Als Gegner musste man das Gefühl haben, das bei den Sowjets immer ein Mann mehr auf dem Eis mitspielte.
Der sowjetische Rekordmeister befand sich in Füssen im Bundesleistungszentrum um diverse Testspiele gegen deutsche Teams zu bestreiten. Diese Tourneen mussten mittlerweile Sommers wie Winters organisiert werden, da die staatlichen Zahlungen an den Eishockeyverband auf Grund des drohenden Staatsbankrotts immer geringer wurden. Im Zuge dessen hatte der damalige und sehr rührige Präsident Peter Bässler (PR-Berater) Kontakt zum Füssener Geschäftsführer Klaus Darnhorn aufgenommen, der die Tour der Moskauer durch Deutschland im Auftrag des DEB organisiert hatte. Selbst der Bustransfer nach Stuttgart lag in Füssener Händen und wurde durch den Ex-Nationaltorhüter (115 Spiele / Olympiadritter 1976 in Innsbruck) und ehemaligen Busunternehmer Toni Kehle persönlich in die Tat umgesetzt. In Stuttgart angekommen ging es noch zum shoppen und bummeln in die City, wo unter anderem im Stuttgarter Kult Jeans Laden U.S.Kuni westliche Waren gekauft wurden.
Desweiteren wurden Krimsekt und Kaviar gegen westliche Zigaretten und Währungen nach dem Spiel in der Kabine, in der Stadionkneipe unterm Tisch oder auf der Toilette getauscht. Das alles musste sehr unauffällig geschehen, da sich im nahen Umfeld von sowjetischen Clubs im Ausland, immer sogenannte „Betreuer“ befanden. Deren Tätigkeit bestand vor allem in der Sicherstellung, dass kein Spieler heimlich die Sachen packte um Mütterchen Russland den Rücken zu kehren.

Die Scheibe ist irgendwie reingeflattertEHC-Stürmer Jens Martens zu seinem Tor

Zum Spiel selber braucht es keine vielen Worte. Bereits vor dem Spiel war bei vielen die Erwartungshaltung entsprechend. Martin Kronberger (Kapitän): Das wird für uns sicherlich eine Lehrstunde in Sachen Eishockey!“ Wie erwartet ging man dann unter, aber immerhin konnte die Stellung bis zur 11. Minute gehalten werden. Bei anderen Testspielen der Russen war das Spiel zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden. Noch überraschender war der Anschlußtreffer von Jens Martens in der 17. Spielminute zum 1:2.  O-Ton Jens Martens: „Die Scheibe ist irgendwie reingeflattert…“. Doch auch der ehemalige EHC-Kanonier zollte der russischen Spielweise allerhöchsten Respekt: „Was mich schon immer fasziniert hat, und was mich an modernen Mannschaften stört, ist die Fähigkeit das Tempo zu variieren. Die haben das Tempo angezogen, wenn es nötig war und einfach wieder ein bischen langsam gemacht, wenn es nicht mehr nötig war.“
Davon kann auch der EHC-Stürmer und Waldau-Old-Boyz -Spieler Thomas Renner berichten: „Wir durften nur mitspielen, wenn Sie es auch wollten…“.

Es war eine unglaubliche Demonstration von Überlegenheit, das kann man sich garnicht vorstellenEHC-Verteidiger Michael Esser
Die russische Spielkontrolle war also übermächtig und so wurden im letzten Drittel noch zwei Geschenke in Form von 2 Toren gewährt. Der alte Abstand wurde aber umgehend wieder hergestellt.
Die beeindruckende Vorstellung endete dann letztendlich standesgemäß 3:17. BerichtViele EHC Spieler waren damals teilweise gefrustet. So schleuderte Axel Glemser beim Wechsel seinen Schläger in die Ecke und schrie:“ Jetzt spiele ich 18 Jahre lang Eishockey und muss heute feststellen das ich garnichts kann“. Aber auch der damalige EHC-Verteidiger und heutige Waldau-Old-Boyz-Spieler Michael Esser hat heute noch viele Erinnerungen an dieses Match:“ Ich wollte einen Stürmer checken und hatte ihn quasi schon an der Bande. Als ich aber ansetzte machte dieser eine 360 Grad-Drehung und den, den ich checkte war ich selber und musste mich erstmal komplett von der Bande schälen. Es war eine unglaubliche Demonstration von Überlegenheit, das kann man sich garnicht vorstellen. Die hatten das Spiel unter absoluter Kontrolle. Die zeigten uns was im Eishockey alles möglich ist“.
Aber auch abseits der Eisfläche stellte der russische Gast alles in den Schatten. Micha Esser:“ Als ich den Bus der Moskauer sah, traute ich meinen Augen nicht: der Bus war in einem unglaublich desolaten Zustand und ich wunderte mich wie er die lange Reise überstehen konnte. Bei der Abfahrt aus Stuttgart konnte man an den Fenstern fast keinen mehr erkennen, die haben alles vollgestopft mit Jeanshosen und Jacken usw., unfassbar!“. Stuttgart wurde offenbar leergekauft.
Jens Martens abschließend:“ Im Nachhinein muss ich sagen, die Jungs hatten ne harte Zeit. Übers Land tingeln und dann gegen solche Gurken-Vereine wie Stuttgart zu spielen… 🙂 “
Solche Spiele bleiben allen bis heute haften und zeigten die andere Welt des Eishockey-Sports….

Zeitungsberichte zum Spiel (anklicken):

Moskau-Spiel 1982/83